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„Deshalb will ich gerne mitwirken…“

    Mausoleum am Majdanek Memorial

    Angefangen hat es damit, dass mein Vater über die Eltern seines Freundes erzählte und wie sie in Auschwitz ermordet wurden, weil sie in Wien bleiben wollten. „Es wird schon nicht so schlimm werden“, sagten sie sich. Und er erzählte über Theresienstadt und Dachau und wie wichtig es ist, darüber zu reden, damit es nicht wieder passiert. Ich war 11 Jahre alt. Mein Vater starb im Jahr darauf.

    Keiner in meiner Nähe wollte weiter über die Zeit reden. Auch in der Schule sprach keiner davon. Die Weltkriege gab es nur in Zahlen. Ein Besuch in Bergen-Belsen hat mich nachhaltig verstört. Trotzdem dachte ich, es ist zu lange her. Später begriff ich, es war nicht lang genug. Später begriff ich auch, dass meine Familie mütterlicherseits ebenso betroffen war. Maidanek und Buchenwald bekamen plötzlich eine verstärkte Bedeutung. Darüber wurde lange geschwiegen. Aus Scham, aus Angst, aus Unwissenheit… – längst war es nicht nur mehr ‚Geschichte’, die auch in österreichischen Schulbüchern vorkommen hätte müssen. Längst war ich damit auf der Bühne und beim Schreiben konfrontiert. Jetzt erst kamen konkrete Fragen, jetzt erst begriff ich, dass das Schweigen bis in unsere Generation hineinwirkt, dass dieses Schweigen auch etwas mit unserem Leben macht… – bis in die Generation unserer Kinder und weiter – wie wichtig das Reden, das Erinnern ist – die Familiengeschichten, die plötzlich einen persönlichen Zugang zur Geschichte an sich mit sich bringen… – die persönlichen Geschichten, die mehr zu berühren vermögen als Zahlen und Asche oder die eben erst Zahlen und Asche vorstellbar machen… – erinnern, dass es nicht mehr passiert! Besonders auch in unserer satten Zeiten, in denen Minderheiten wieder drangsaliert werden, Angst vor den Flüchtlingen geschürt, die Würde des Menschen achtlos zur Seite geschoben wird. Erinnern, um die erreichte Menschlichkeit zu bewahren und zu leben.

    Von Sibylle Schleicher Ursprünglich erschienen in Dokumentationszentrum Oberer Kuhberg e.V., Mitteilungen, Heft 69, November 2018.